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von werwolf » 09.05.2008, 18:23
Lieber Lobo,
es stimmt, dass die Bibel "nicht vom Himmel gefallen ist", sondern von Menschen für Menschen geschrieben wurde. Es gibt ein große Menge an Literatur, die sich mit diesem Thema beschäftigt. Ich habe viel von Pinchas Lapide und Schalom Ben-Chorin gelesen, Menschen also, die aus dem Judentum kamen.
Eine sehr gute Stellungnahme zu diesem Thema gibt Dr. Paul Schulz in seinem Buch "Ist Gott eine mathematische Formel?". Dr. Schulz war in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts evangelischer Pastor an der Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg. Er ist wegen seiner progressiven Wortverkündigung erst beurlaubt und später amtsenthoben worden.
Zum Thema "Bibel" einige Ausschnitte aus dem Kapitel "Die Bibel-Wort Gottes?" des oben genannten Buches. Überschrift dieses Kapitels: NEIN.
Immer wieder taucht die Behauptung auf: Die Bibel ist "Gottes Wort"; die Bibel ist "Heilige Schrift"; die Bibel ist "absolute Wahrheit".
Theologisch wird das so erklärt: Gott hat die Bibel "verbalinspiriert". Gott hat in einem außergewöhnlichen Akt den Schreibern der Bibel seinen Geist eingehaucht und so ihre menschlichen Fehler beim Schreiben ausgeschaltet. Eben so ist die Bibel ein göttliches Buch geworden - unantastbar und ohne Kritikmöglichkeit für die Menschen.
Es folgt eine kurze Abhandlung über den Umgang mit der Bibel durch die "Jesus-People" und die Zustimmung des evangelischen Bischofs dazu.
Weiter im Buch:
Eine derartige Zustimmung ist eine Ungeheuerlichkeit: Höchste Stellen unserer Kirche identifizieren sich mit einer Bibelbetrachtung, von der sie selber ganz genau wissen; So geht es nicht! Denn die moderne Bibelforschung hat seit über hundert Jahren ausgewiesen, dass dieses Buch Bibel nicht verbalinspiriert sein kann. Text für Text, Satz für Satz, ja Wort für Wort hat sie gezeigt, wie hier alles vom Menschen her gemacht worden ist. Jede Behauptung der absoluten göttlichen Autorität der Bibel steht somit im krassen Widerspruch zur historisch-kritischen Arbeit der modernen Bibelwissenschaft.
Dieser Widerspruch ist deshalb so unerträglich, weil eben die gleichen Theologen, die den Jesus-People zustimmen, gleichzeitig dafür mitverantwortlich sind, dass kein Examenskandidat je die theologischen Prüfungen bestanden hätte oder besteht, der nicht voll und ganz die Forschungsergebnisse der modernen Bibelwissenschaft kennt und anwenden kann. Junge Theologen sind also ihrerseits gezwungen, den ganzen Apparat der modernen Erforschung des Alten und des Neuen Testamentes zu beherrschen und in Prüfungen abzulegen - vor den gleichen Leuten, die an anderer Stelle so tun, als gäbe es das alles gar nicht.
So weit ein kurzer Ausschnitt dieses Kapitels. Dr. Schulz hat in einer Kolumne in der "ZEIT" geschrieben, dass viele Pastoren ihr gesamtes theologisches Wissen an der Kirchentür abstellen und dem Volk von der Kanzel aus blauen Dunst vormachen. Diese Bemerkung und einiges andere in dieser Richtung hat ihn letztendlich den Kopf gekostet.
Seinen Standpunkt unterstreiche ich voll und ganz.
Liebe Grüße
werwolf