
nach rd. 45 Jahren war der Abschied aus dem Berufsleben eigentlich absehbar. Was mich aber überraschte, das war die Intensität des Abschiedsschmerzes. Offensichtlich hatte ich mit dem Loslassen zu spät angefangen. Ob alt oder jung, während unseres ganzen Lebenslaufes müssen wir immer wieder einmal Abschied nehmen. Wohl dem, der rechtzeitig loslassen kann. Mit den folgenden Episoden möchte ich das etwas deutlich machen.
1. Der Hund an der Leine.
2. Der Nichtschwimmer im Wasser.
3. Den Schreibtisch räumen.
Der Hund an der Leine
Frauchen geht mit ihrem geliebten Max Gassi. Max ist ein gesunder und quicklebendiger Hund. Ein deutscher Schäferhund in den besten Jahren. Gepflegt, treu, ausgebildet und gehorsam. Max trabt wachsam neben seinem Frauchen. Sie hält die Leine kurz, weil ihr der Nachbar mit seinem Minikläffer entgegen kommt. Max bleibt gelassen und ignoriert den keifenden Kläffer. Brav macht er auch an der roten Fußgängerampel Platz, bis sein Frauchen das Signal gibt, den bekannten Weg zum Volkspark fortzusetzen. Dort angekommen, beugt sich Frauchen zu ihm hinunter und löst die Hundeleine von Maxens Geschirr. Max blickt seinem Frauen kurz in die Augen und dann rennt Max los. Bald springt er wie ein Springbock in die Luft, bald schnüffelt er hier und da, hinterläßt seine Duftmarken und es ist ihm anzusehen, das Max seine Freiheit überschwänglich genießt.
Der Nichtschwimmer im Wasser
Da ist jemand ins Wasser gefallen. Ein Nichtschwimmer. In höchster Panik schlägt er wie wild um sich und brüllt wie am Spieß um Hilfe. Jemand wirft dem Untergehenden einen Rettungsring zu. Der ergreift den und klammert sich daran fest. Unversehens nähert sich ihm ein Boot der Wasserwacht. Die Retter reden beruhigend auf ihn ein und gehen längsseits. Einer streckt dem Hilflosen die Hand entgegen, um ihn aus dem Wasser ins endgültig rettende Boot zu ziehen. Der aber klammert sich weiter an seinem Rettungsring fest und will den um nichts in der Welt loslassen.
Den Schreibtisch räumen
Einige Tage, nach dem die Verabschiedungszeremonien beendet, die Geschenke übergeben und alle freundlichen Verabschiedungsformeln gesprochen worden waren lag es an mir, meinen Arbeitsplatz zu räumen. Einen Schreibtisch, zwei Sideboards, zwei Aktenschränke sowie einen Pflanzenständer mit mehreren Etagen. Es war grauenhaft. Was war denn grauenhaft? Na das Loslassen. Ich hatte Entscheidungen zu treffen: „Was kann weg? Was muss archiviert werden? Was nehme ich mit nach Hause?“
Das, was ich mit nach Hause nahm, das habe ich noch tagelang im Kofferraum meines kleinen Toyotas herumgefahren. Morgen werde ich am Müllcontainer anhalten und endgültig Abschied nehmen. Loslassen...
In der Bibel findet sich, neben einigen anderen, ein grauenhaftes Wort Gottes. Dieses hier: „Kann etwa ein Mohr seine Haut wandeln oder ein Panther seine Flecken? So wenig könnt auch ihr Gutes tun, die ihr ans Böse gewöhnt seid.“ (Jeremia 13, 23)
Wenn man den ganzen Zusammenhang liest in dem es steht, dann scheint es darauf hinaus zu laufen, dass wir gar nicht anders können, gar nicht anders wollen, als das Vergangene freiwillig hinter uns zu lassen und mutig einen Neuanfang zu wagen. Dem widerspreche ich mit Nachdruck. Warum? Weil ich einen Neuanfang will und sicher weiß, dass ich ihn nicht alleine bewältigen muss.
Liebe Grüße, landauf und landab, von
Eurem Micha
