tergram hat geschrieben:uhu-uli hat geschrieben:...wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar...
Ich bin glücklich, dankbar und voller Respekt, dass die Menschen in der DDR nicht schweigend 'die andere Wange hingehalten' haben, sondern mit großem persönlichem Mut gegen ein Unrechtssystem aufgestanden sind. Weil vom 'Wange hinhalten' zumeist nichts besser wird. Und vom Schweigen auch nicht.
Pinchas Lapide in: [color=red][b]E[/b]ntfeindung leben?[/color] hat geschrieben:
Kann man mit der Bergpredigt Staat machen?
„Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel; sondern, so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar.“ (Mt5,39). Hier ist vorerst zu bemerken, dass das im Normalfall gar nicht geht! Versuchen Sie doch einmal, eine Person, die vor ihnen steht, auf die rechte Backe zu schlagen! Nur Linkshänder oder Akrobaten bringen das fertig… .
Werte tergram, liebe uhu-uli,
ich musste deutlich länger nach der Backenstreich-Passage suchen als gedacht. Ein Griff...doch am Samstag bin ich überraschend fündig geworden. Pinchas Lapide hatte den Talmud strapaziert, um etwas Licht in die häufig schlüssig untheologisch verabreichte christliche Floskel vom Backenstreich zu bringen. Lapide wird im Traktat über Körperverletzungen fündig: „
Wenn jemand seinem Nächsten eine Ohrfeige gibt...so zahlt er ihm vor dem Richter 200 Sus [(etwa 40 €)] als Wiedergutmachung…Geschah es aber mit verkehrter Hand, also mit dem Handrücken, so zahlt er ihm 400 Sus – das Doppelte“.
Obwohl ein Schlag mit dem Handrücken körperlich wohl nicht so schmerzhaft ist, als mit voller Hand, wird der Streich mit dem Handrücken als besonders ehrenrührig dargestellt. Dabei ist klar, dass die Backpfeife (Watschn) nicht ein Kampfmittel ist, das den Gegenüber umbringen soll. Die Backpfeife ist eher in die Kategorie Züchtigung, Repression, Strafe einzusortieren und behält dabei ihr - mehr oder weniger - ehrenrühriges Geschmäckle. Sogar rein verbale Backpfeifen (siehe auch
[=>Wikipedia]) „Fühlen Sie sich georfeigt“ zeigen den ehrenrührigen Impetus, der mit so einer Aggression einhergeht. Quasi neuapostolisch-konsubstantiativ

.
Ich sehe Mt5,39 weniger im Kontext einer einmaligen Affekthandlung, die sich etwa durch den Talmud innerjüdisch regeln lässt, als vielmehr einen Vorgang, wo jemand gezielt bloßgestellt und blamiert wird und als per se Unterlegener keine Chance hat, dies rechtlich klären zu lassen. In Mt5,41: „Und so dich jemand nötigt eine Meile, so gehe mit ihm zwei“ klingt nämlich der berüchtigte Frondienst an, der es damals einem römischen Legionär erlaubte, jedem gerade greifbaren x-beliebigen Juden Sack und Pack aufzuhalsen und ihn für eine Meile als Lastesel zu missbrauchen.
Ich glaube, in dem biblischen Text ist die Empfehlung jener Demutsgebärden zu erkennen, die z. B. einen überlegenen Besatzer (halt einen „jemand“

) bewegen könnten, an einem Vertreter eines unterworfenen, extrem aufrüherischen, steuerverweigernden Volkes es nicht zum äußersten kommen zu lassen.
Während der 300 Jahre von den Makkabäern bis zum Ende der jüdischen „Unabhängigkeit“ unter Bar-Kochba schafften es die Juden nicht weniger als 62 Aufstände und Rebellionen gegen die jeweiligen Oberherrschaften anzuzetteln. 61 waren von Galiläa ausgegangen und nahezu alle hatten etwas mit Steuerverweigerung zu tun. Lukas nennt diese Steuer für die Unterworfenen deutlich: Tribut. Auch Jesus dürfte damals in die Nähe von Steuerverweigerern gesehen worden sein wie z. B.: „Pflegt euer Meister nicht den Zinsgroschen zu geben?“ (Mt17,24) oder „Ist's recht, dass man dem Kaiser den Zins gebe, oder nicht?“ (Mt22,17).
Dem Jesus der Evangelien dürfte inmitten so einer Epoche einer rücksichtslosen Besatzung klar geworden sein, dass einem dahingemordetwerden von Jüngern wegen Widerstandes nicht gedient ist. Das bedeutet keineswegs Nachgiebigkeit gegenüber dem Bösen, sondern einen ausgeprägten Realitätssinn und die Wahrnehmung einer gewissen Fürsorgepflicht. Diesem Jesus ging es weniger um schlüssig-untheologisches Mundwerk einer neuen Wortkirche, als um die Erfüllung des Schriftwerks, um das Handwerk („das Tun“), dem häufigsten Zeitwort im überlieferten Sprachschatz. Bei diesem „
jemand“ im Matthäusevangelium dürfte es Jesus weit weniger um den Feind, als wie um die konkrete (konsubstantiative) Überbrückung und Überwindung von Feindschaft gegangen sein.
Der Titel dieses threads lautet: „Mauerfall-Jubiläum“. Jesus fordert seine Jünger als benachteiligte auf, einen freiwilligen Anfang, einen ersten Schritt in Form einer einseitigen Vorleistung zu machen, um so den blutigen Teufelskreis der Verfeindung zu durchbrechen. Entfeindung. Nicht mehr und nicht weniger. Und vor dem „Mauerfall“ hatte auch ein gehörig Maß an „Entfeindung“ das überhaupt erst ermöglicht, was schlussendlich „mit großem persönlichem Mut gegen ein Unrechtssystem“ zum Erfolg geführt hatte.
Ohne hier zu sehr ins Detail zu gehen, bin ich schon öfters Zeuge geworden, wie neuapostolische Prokuratoren Macht über Subordinierte ausgeübt haben, deren Unterwerfungsrituale zum neuapostolischen Glaubensüberleben einfach so dazugehören scheinen. Konnten früher Abgewatschte häufig noch unauffällig entsorgt werden, scheinen sich seit Kuhlen immer mehr auf überlieferte Jesulehre zu besinnen und den, in ihrer „Ultima ratio“ züchtigenden Bezirksaposteln auch noch die linke Wange hinzuhalten.
- „Selig, die willig sind, den ersten Schritt zu tun, denn sie werden mehr Offenheit finden, als sie für möglich hielten.“
Mit einem lieben Gruß an sie beide und in herzlichem Gedenken an den „Entfeinder“ Pinchas Lapide
shalom