Cemper hat geschrieben:Also - ich würde das nicht so optimistisch sehen. Ich hatte vor zwei, drei Jahren in meiner evangelischen Kirchengemeinde einen Gottesdienst "gespielt" (Organistendienst). Nach dem GD bin ich von oben - von der Orgel - durch das jahrhundertealte Turmgemäuer nach unten "gestiegen" und dann mit dem Pastor zum Mittagessen in ein Restaurant gegangen. Beim Essen sagte er mir: "Man kann froh sein, wenn man in der Kirche mal vernünftige Leute trifft." Vor vier Wochen war ich bei diesem Pastor - der unlängst pensioniert worden ist - zum Abendessen. Beim Essen sagte er mir: "Ich gehe jetzt zu den Katholiken - gegenüber, zu den Mönchen." Und vor einigen Wochen habe ich mich mit einem langjährigen Freund - frisch pensionierter Pastor - getroffen. Beim Tee sagte er mir: "Ich werde für den Rest meines Lebens keine Kirche mehr betreten." Und eine langjährige Freundin - evang. Pastorin - hatte unlängst den sog. Pastoren-TÜV. Da wird vom Kirchenvorstand für den Verbleib oder die Ablösung votiert und mit der oder dem Vorgesetzten (Propst/Pröpstin) diskutiert. Die Pastorin sagte mir: "Ich könnte einige Leute aus diesem KV erschießen. Mit anderen Worten: Viel Spaß beim Versuch, in der evang. Kirche "gesund" zu werden.
Es gibt aber auch viele "gute Seiten".
C.
Lieber Cemper,
ja, es gibt in der NAK und in der evangelischen Kirchen gute und schlechte Seiten (wie vermutlich in jeder Kirche. Trotzdem halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass Protestant in der ev. Kirche "gesunden" kann. NAK und Ev. Kirche sind sich zwar ähnlich darin, dass es darin gute und schlechte Seiten gibt, doch sind es Systeme mit so grundlegenden Unterschieden, dass man kaum befürchten muss, vom Regen in die Traufe zu kommen.
Das, was Protestant und mich und viele anderen "Kritiker" an der NAK stört, ist das alte (mittelalterliche) Kirchenweltbild, das die Katholische Kirche bis heute meisterhaft vertritt: Die Kirche ist die von Gott gesandte Stellvertreterin Christi und führt die Gläubigen durch ihre Handlungen und Angebote in den Himmel. Die Sicherheit, nicht in die Irre zu gehen, erlangen die Gläubigen daraus, dass sie den obersten Geistlichen vertrauensvoll nachfolgen, während diese ihre Sicherheit wiederum aus Bewahrung der Tradition nehmen.
Irgendwann kommen viele Angehörigen der NAK zu einem Punkt, wo sie es nicht mehr ertragen können, dass die Kirchenführung selbstsicher und unbeirrbar am Evangelium und den Menschenherzen vorbei steuert und vor allem: dass es kaum einen Raum gibt, wo man sich diesem Einfluss der Kirchenführung entziehen könnte - einen Raum für individuelle Spiritualität, einen Raum für die Entwicklung einer eigenen Glaubenskultur in der Gemeinde - das alles gibt es nicht (oder höchstens für eine kurze Zeit).
Daran wird man regelrecht "krank".
In der Evangelischen Kirche ist das moderne Kirchenweltbild etabliert: Die Kirche ist das, was die Gläubigen bauen, um auf ihrer Suche nach Gott nicht alleine sein zu müssen. Und das bringt vor allem ein viel höheres Maß an Freiheit hervor - hier gibt es Raum für individuelle Spiritualität, für individuelle Gemeinden. Wenn man also eine Gemeinde gefunden hat (was auch nicht immer ganz leicht ist), in der man einen guten Pastoren oder eine gute Pastorin hat und sich mit den engagierten Gemeindegliedern gut versteht, ist eigentlich alles weg, was einen vorher in der NAK gestört hat und alles da, wofür man vielleicht jahrelang in der NAK gekämpft und gelitten hat.
Es mag sein, dass nach einiger Zeit - wenn man sich an das gewöhnt hat, was nun gesund geworden ist, einige Krankheiten entdeckt, die dann ins Zentrum des Bewusstseins rücken, und dass man sich dann nicht mehr so glücklich fühlt wie beim Konfessionswechsel. Aber trotzdem ist man in einer Kirche, die etwa so modern über Gott und die Menschen denkt, wie man selbst und sie lässt einen die Freiheit, die man braucht.
Was sicher nicht unerheblich ist, ist die Tatsache, dass man mit einem Konfessionswechsel prinzipiell die Freiheit hat, sich eine neue Heimatgemeinde suchen zu können. Die Kirchendichte ist in der Ev. Kirche meist so hoch, dass man die Auswahl zwischen mehreren Gemeinden hat. (Übrigens ist das Erleben in einer ev. Gemeinde konstanter als in einer NAK-Gemeinde, da meist nur ein Pfarrer/Pfarrerin pro Gemeinde ist und ein Kanzeltausch nur ausnahmsweise geschieht.) Dies "Du hast die Wahl" bringt ein Gefühl der Freiheit mit sich, die alleine schon ein Stück gesund macht.
Es gibt also jede Menge Erleichterungen und positive Effekte, wenn man von der NAK in die Ev. Kirche wechselt.
Und noch etwas: Bei Protestant und mir war es der Eintritt in die Ev. Landeskirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche). Und meiner Meinung nach sind hier die positiven Effekte noch stärker als beim Eintritt in andere Ev. Landeskirchen. Für NAKler sind z.B. Litaneien, liturgische Gesänge, festgelegte konstante Liturgietexte, kurze Predigten (d.h. unter 10 Minuten) eher ungewohnt. In der Pfalz steht die Predigt deutlich im Mittelpunkt, andere Elemente treten vom zeitlichen Umfang eher zurück. Am ungewöhnlichsten sind für NAKler wohl das Sprechen des Psalms, die abgelesenen Gebete und die andere Atmosphäre (mehr Sakralbau- als Wohnzimmer-).
Es wäre interessant, wenn man die Erfahrungen von Ex-NAKlern, die evangelisch wurden, einmal vergleichen könnte: Warum hast du gewechselt? Welche Erwartungen hattest du? Was hast du gewonnen, was verloren? Wo war die Umstellung einfach, wo nicht so leicht? Gab es eine längere Suche nach einer guten Gemeinde? …
Viele Grüße
Matthias